Ein Wintermorgen im Dunkeln. Ich war spät dran. Die Autoscheiben völlig vereist, mühsames Kratzen war angesagt. Plötzlich kommt unser Nachbar auf mich zu, reicht mir einen Eiskratzer: „Hier, nimm den mal, kannst du behalten.“, und tatsächlich, mit diesem kleinen Wunderteil werden die Scheiben in kurzer Zeit eisfrei. Ich habe ihn noch lange Jahre benutzt.
Diese Freundlichkeit hat mich gestärkt, fröhlich und mit einem Lächeln konnte ich in den Tag starten.
Eine enge Straße: Zwei Autos stehen sich frontal gegenüber, der Durchgang ist definitiv zu eng um aneinander vorbeizufahren, einer muss zurücksetzen, damit beide weiterkommen. Keiner ist dazu bereit, es wird die Polizei gerufen. Diese fordert lediglich zum selbständigen Lösen des Problems auf.
Ich glaube, die Straße ist inzwischen wieder frei.
Mein Briefkasten enthält einen Brief, in dem eine Firma, bei der ich kürzlich etwas bestellte, mir in warmen Worten mit persönlicher Anrede zum Geburtstag gratuliert. Mich kennt dort niemand. Diese zweckgebundene, unechte Freundlichkeit stärkt mich nicht – im Gegenteil, sie ärgert mich.
Auch heute werden Sie häufig die Wahl haben: Verhalte ich mich meinem Mitmenschen gegenüber aufmerksam, einfühlsam und freundlich – oder eher gleichgültig und rechthaberisch.
Ob es mir selbst heute gelingt, mit einer freundlichen Haltung durch den Tag zu gehen, weiß ich noch nicht. Vertrauen darf ich aber darauf, dass mich Gott dabei mit seiner Freundlichkeit und Güte begleiten wird. Zu ihm sprechen wir im Gottesdienst die Psalmworte: „Danket dem Herrn, denn er ist freundlich, und seine Güte währet ewiglich.“ (Ps 118,1).
Freundlichkeit und Güte Gottes, werden oft in einem Atemzug genannt. Der Apostel Paulus nennt beide als Früchte des Geistes (Gal 5,22). Eine Welt, in der unser Miteinander von Freundlichkeit und Güte bestimmt wäre, wäre für mich ein Traum. Sie trüge paradiesische Züge.
In der Gewissheit, dass Gott uns freundlich begegnet, kann jeder einzelne von uns an jedem Tag zu einer solchen Welt beitragen. Jede Freundlichkeit zaubert ein Lächeln hervor, das auf die Reise geht – und – wer weiß, vielleicht kommt es irgendwann durch einen anderen Menschen zu mir selbst zurück.
Cool – wäre das – und uncool zugleich.
Ruth Wessels, Pfarrerin am Lukas-Krankenhaus Bünde
Januar | Michael Krause | Menschliche Menschen werden |
Februar | Ruth Wessels | Bitte recht freundlich |
März | Axel Bruning | Schulden gestrichen |
April | Dr. Kai-Uwe Spanhofer | Kein Weg zurück |
Mai | Holger Kasfeld | Der Sonntag - ein Geschenk des Himmels |
Juni | Eva-Maria Schnarre | Du siehst mich |
Juli | Volker Kükenshöner | Aufbruch und Begeisterung |
August | Hanno Paul | Alte Eltern ehren |
September | Gabriele Steinmeier | „Nicht die Glücklichen sind dankbar. Es sind die Dankbaren, die glücklich sind.“ |
Oktober | Uta Bültermann | Muss man Danke sagen? |
November | Markus Fachner | Reformation braucht Mut |
Dezember | Claudia Günther | Ankunft im Leben |