„Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“

von Frauke Wagner, Pfarrerin der Ev.-luth. Marien-Kirchengemeinde Stiftberg Herford

Diese Worte von Petrus , die auch als Monatsspruch für den Juni ausgewählt worden sind, stammen aus der Apostelgeschichte. Petrus und andere Apostel müssen sich vor dem Hohen Rat verantworten. Flankiert von Wärtern stehen sie dort und sind angeklagt gegen ein explizites Predigtverbot verstoßen zu haben.

Eine ähnliche Szene ereignete sich beim Reichstag in Worms, im Jahr 1521. Der Reformator Martin Luther, stand vor dem Kaiser – mit Bauchschmerzen, wie er später berichtete. Luther wurde zum radikale Widerruf seiner Thesen aufgerufen, wo er doch eine abwägende Disputation erwartet hatte. Plötzlich befand er sich also in einem Dilemma, nur noch zwei Alternativen: widerrufen oder geächtet werden, 24 Stunden Bedenkzeit.

Luthers Antwort und Entscheidung sind bekannt. Der viel zitierte Satz „Hier stehe ich und kann nicht anders“ klang in Wirklichkeit aber wohl doch etwas differenzierter und dem Monatsspruch näher. „Da mein Gewissen in den Worten Gottes gefangen ist, kann ich und will nichts widerrufen, weil es gefährlich und unmöglich ist, etwas gegen das Gewissen zu tun. Gott helfe mir. Amen“. Kein pathetisches „Ich kann nicht anders“ eines heldenhaften Einzelkämpfers, sondern die demütige Bitte, dass Gott ihm helfen möge – so die Worte.

Von Dilemma-Situationen, wie diesen beiden Anklageszenen erzählt die Bibel noch an verschiedener Stelle. So etwa in der Abrahamgeschichte (1.Mose 22), wo Gott selbst das Dilemma heraufbeschwor, als er Abrahm auffordert mit seinem Sohn auf einen Berg im Land Morija zu steigen und ihn dort zu opfern. Und die Literatur widmet sich z.B. in Dürrenmatts „Besuch der alten Dame“ mit einem ganzen Theaterstück so einem Dilemma. Eine Milliardärin, die ihre Heimatstadt besucht und herausfordert: „Eine Milliarde für Güllen, wenn jemand Alfred III tötet. […] Gerechtigkeit für eine Milliarde.“

Dilemmasituationen unterschiedlichster Couleur und verschiedenen Grades gehören wohl zum Leben dazu. Und es gehört wahrscheinlich auch dazu, dass das Leben mehr Optionen als die Beiden des klassischen Dilemma bietet.

Und zusätzlich besteht die Schwierigkeit ja darin, dass Gottgewollte überhaupt heraus zu filtern aus den vielen anderen Stimmen und Möglichkeiten. „Gott gehorchen“ – wie Petrus in seiner Dilemma-Situation entscheidet – kann man schließlich nur, wenn man Gott hört.

Schaut man in den Kontext, in dem Petrus diesen Satz spricht, findet man eine Hilfe, die das Raushören deutlich erleichtern mag. Diese steckt in der Erzählung, die zu Petrus Ausruf gehört. Dort wird nämlich berichtet, dass Petrus und die Anderen himmlische Unterstützung hatten, als sie sich in das Grunddilemma einer Gefangenschaft manövriert hatten. Es heißt dort „Der Engel des Herren tat in der Nacht die Türen des Gefängnisses auf und führte sie hinaus und sprach: Geht hin und und trete im Tempel auf und redet zum Volk alle die Worte dieses Lebens!“ Ein himmlischer Bote als Helfer und eine klare Botschaft werden als Schlüssel genannt, die Petrus und den anderen aufschlossen, was zu tun ist.

Nun mag man nicht darauf bauen, dass jeweils ein Engel kommt und uns aus unseren Gedankenschleifen, den emotionalen Untiefen und moralischen Gefängnissen herausholt, aber man kann sich doch auf einen andereen Schlüssel verlassen: „die Worte dieses Lebens“. Mit Jesu Leben, so wie Jesus gelebt hat, damit ist eine ganz menschliche Richtung von Gottes Willen gewiesen. Ein Kriterium und Kompass, die davon erzählen, was es heißt, Gott im Herzen, Kopf und Bauch zu gehorchen und zu entscheiden. Interessant ist, dass hier übrigens explizit das jesuanisches Leben als Kriterium und nicht sein Tod angeführt wird. Sein Handeln und Nichthandeln, seine Worte und sein Schweigen, seine Freude und seine Tränen.

Und zu diesem Kriterium gehört auch die jesuanische Haltung, die sich etwa in der Geschichte mit der Ehebrecherin zeigt. Diese Frau, die gegen die Regeln ihrer Gemeinschaft verstoßen hatte und nun von ihren Mitmenschen gesteinigt werden soll. Dieser Frau begegnet Jesu mit Barmherzigkeit – vielleicht das, was neben allem dualistischen „Falsch“ und „Richtig“ die wichtigste jesuanische Lebensweise war.