Soviel Du brauchst

von Dr. Kai-Uwe Spanhofer, Gemeindepfarrer in Hiddenhausen

Ich stehe vor meinem Kleiderschrank und vor der Entscheidung, was ich heute anziehen soll. An der Auswahl mangelt es nicht. Und wenn es nach den Werbeprospekten ginge, könnte sie noch viel größer sein. Doch brauche ich wirklich soviel Kleidung, wenn ich am Ende doch immer wieder meine drei Lieblingshosen anziehe?

Bei der jährlichen Kleidersammlung in unserer Kirchengemeinde werden mehrere Tonnen noch gut tragbarer Kleidung eingesammelt, um sie günstig an andere weiterzugeben und aus dem Erlös die Arbeit der Bodelschwinghschen Stiftungen zu unterstützen. Ich frage mich, ob wir nicht schon beim Einkaufen sparsamer sein könnten, damit nicht soviel Kleidung gesammelt und abgefahren werden muss?

Jetzt in der Pandemiezeit entdecke ich, dass ich unfreiwillig auf Vieles verzichten muss. Vor drei Monaten war ich zuletzt bei meinem Friseur. Sechs Monaten ist es her, dass ich in einer Sauna war. Und im letzten Sommer habe ich zuletzt Fußball gespielt. Schon bei dieser kurzen Aufzählung merke ich, dass es so Vieles gibt, auf das ich nicht länger verzichten möchte.

Was ich wirklich zum Leben brauche, finde ich nicht nur in meinem Kleiderschrank oder im nächsten Werbeprospekt. Neben Kleidung und Nahrung brauche eine gewisse Sicherheit, die mir Halt und Orientierung gibt. Ich brauche den Kontakt und die Begegnung mit anderen Menschen. Ich möchte spüren können, dass mein Wirken wichtig und sinnvoll ist. Viele dieser Grundbedürfnisse sind im zurückliegenden Jahr durch die Pandemie begrenzt worden. Auf Dauer können wir nicht auf sie verzichten. Deshalb brauchen wir eine Perspektive, die uns ermutigt und zuversichtlich stimmt.

Vielleicht hilft uns dabei der Gedanke, dass mancher Verzicht auch neue Möglichkeiten eröffnet. Ich verzichte freiwillig auf etwas, um mich selbst neu zu entdecken. Ich nutze meine Freiheiten, um manches zu lassen, anderes zu tun und mein Leben neu auszurichten. Dabei kommt mir ein Bibelvers in den Sinn, der zum Verzicht einlädt: „Löse die Fesseln, die Menschen binden, befreie sie vom drückenden Joch und gebt ihnen ihre Freiheit wieder.“ Ein Verzicht auf ein „immer-mehr-haben-wollen“ wäre ein Fasten, über das sich auch Gott freut, weil es mir selbst und anderen hilft mit dem auszukommen, was schon alles da ist.