
Herford (08.03.2021). „Oberste Priorität all unserer Arbeit im letzten Jahr war - trotz aller Kontaktbeschränkungen - die Klientinnen angemessen zu unterstützen und zu begleiten“, stellt Birgit Reiche fest und fügt hinzu:
„Das haben die Mitarbeiterinnen von THEODORA in beeindruckender Weise erreicht!“. THEODORA ist eine Beratungsstelle für Prostituierte in Ostwestfalen-Lippe (OWL) mit Sitz in Herford. Die Trägerin der Beratungsstelle ist die Evangelische Frauenhilfe in Westfalen e.V..
Die Beratungsstelle konnte 146 Frauen im Jahr 2020 psychosozial und rechtlich beraten und begleiten. Zusätzlich wurden 26 Klientinnen von der Mitarbeiterin in der REGE mbH Bielefeld beraten. Außerdem wurden 33 Kinder der Klientinnen in der Altersgruppe bis sieben Jahre mitbetreut. Während der gesamten Pandemie wurde der Normalbetrieb - so gut es ging - aufrechterhalten. Es wurde beispielsweise nicht nur telefonisch beraten, sondern unter Einhaltung der Infektionsschutzmaßnahmen auch persönlicher Kontakt gesucht. In lediglich drei Monaten des Jahres 2020 konnte aufsuchende Arbeit geschehen. Dabei wurden 205 Frauen erreicht. „Wir haben in den Clubs und Bordellen weniger Prostituierte angetroffen - viele sind kurz vor dem Lockdown in ihre Heimatländer gereist“, beschreibt eine der Beraterinnen die Situation.
„Umfangreiche Recherche und ungezählte Telefonate waren nötig, um die Klientinnen so gut wie möglich beraten und begleiten zu können“, erzählt eine der Beraterinnen. Während des ersten Lockdowns konnten z.B. die Behörden keine adäquaten Informationen bezüglich der Corona-Soforthilfe für Prostituierte geben. Durch bewilligte Anträge aus dem Nothilfe-Fonds des „Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen e.V.“ (BesD) konnten über 40 Frauen im ersten Lockdown finanziell unterstützt werden. Einige Klientinnen wurden saisonale Arbeitsangebote vermittelt; anderen wurden in den regionalen Arbeitsmarkt integriert. Einige Klientinnen sahen diese Angebote als überbrückende Tätigkeiten an.
Die Evangelische Frauenhilfe in Westfalen hat sich vor Jahren bereits klar gegen ein Sexkaufverbot ausgesprochen. „Menschenhandel wird dadurch nicht verhindert und die Situation von Sexarbeiter*innen nicht verbessert, sondern sie werden viktimisiert und weiteren Gefahren aussetzt“, erklärt Birgit Reiche, Leiterin der Beratungsstelle. „Unsere praktische Erfahrung zeigt, dass Frauen, die die Prostitution als die einzige Einnahmequelle sehen, auch bei einem Sexkaufverbot weiterhin tätig sein werden“, ergänzt eine Beraterin von THEODORA und ihre Kollegin fügt hinzu: „Im Corona-Lockdown haben wir trotz Ansteckungsgefahr einen hohen Anstieg der Internetanzeigen von sexuellen Dienstleistungen beobachtet. Aus Angst, entdeckt zu werden, bleiben diese Prostituierten allen Hilfeangeboten fern.“ Mitte März 2020 wurden alle Prostitutionsstätten geschlossen. Erst ein halbes Jahr später durften die Betriebe in Nordrhein-Westfalen wieder öffnen. Im November schlossen die Betriebe wieder wegen steigender Infektionszahlen.
Insbesondere die Schließung der Prostitutionsstätten in der Corona-Pandemie hat dazu geführt, dass sich einige Bundestagsabgeordnete gegen die Rechtslage der Prostitution in Deutschland ausgesprochen haben. Mit Mitgliedern zweier Regierungsparteien aus OWL wurden im Sommer 2020 Gespräche geführt, um deutlich zu machen: Beim sogenannten „Nordischen Modell“ handelt es sich um ein Sexkaufverbot, das im Kern in der Kriminalisierung von Prostitution besteht. „Es geht von der Annahme aus, dass sexuelle Dienstleistungen für Geld per se Gewalt darstellen“, so Reiche.
Weitere Infos:
https://www.frauenhilfe-westfalen.de/prostituiertenberatung.php#theodora