
„Der sofortige Rücktritt unserer Präses von allen ihren Ämtern bewegt und erschüttert mich sehr.
Hintergrund des Rücktritts sind Verdachtsfälle sexualisierter Gewalt, als sie noch Pastorin im Hilfsdienst, Pfarrerin und Superintendentin im Kirchenkreis Siegen war. Der Verdacht richtet sich gegen einen Mann, mit dessen Familie sie lange befreundet war. Wer wusste wann was, sind Fragen, die öffentlich diskutiert werden.
Die Evangelische Kirche von Westfalen nimmt alle Aussagen und Berichte von betroffenen Personen sehr ernst und geht Beschuldigungen sexualisierter Gewalt konsequent nach. Anfang 2023 wurde vom Kirchenkreis Siegen-Wittgenstein ein Verdachtsfall auf sexualisierte Gewalt gemeldet. Unmittelbar nach Bekanntwerden des Verdachtsfalls hat der Kirchenkreis die staatlichen Ermittlungsbehörden eingeschaltet und darüber hinaus vor Ort anhand eines standardisierten Verfahrens ein Interventionsteam eingerichtet.
In den vergangenen Tagen haben die Ereignisse eine neue Dynamik entwickelt. Die Glaubwürdigkeit von Annette Kurschus wurde in Zweifel gezogen. Leider ist es in den Augen der Öffentlichkeit nicht gelungen, diese Zweifel an die Seite zu stellen und zu überwinden. Der Druck hat sich verstärkt.
Um weiteren Schaden von ihrer Kirche abzuwenden, hat die Präses diesen radikalen Schritt getan und ist zurückgetreten. Ich habe sehr hohe Achtung vor der Klarheit und der Konsequenz, die darin liegt. Aber es schmerzt mich auch im Hinblick auf den Verlust, der damit verbunden ist. Ich bedauere es sehr, dass es offenbar keinen anderen Weg gegeben hat, in der Sache weiterzukommen, um die es ja geht: Schutz von den Menschen, die unter sexualisierter Gewalt zu leiden hatten. Ich bin erschüttert, dass wir Annette Kurschus als zentrale protestantische Stimme verloren haben.
Wir verlieren innerhalb unserer Kirche eine Persönlichkeit, deren Stimme Glauben und Theologie auf eine sehr klare Weise gelebt, vertreten und in die Öffentlichkeit gebracht hat. Von Gott auch in der säkularen Welt zu reden und Gott immer wieder ins Gespräch zu bringen, war und ist das zentrale Anliegen. Sie hat uns immer wieder auf dieses Kernthema der Kirche zurückgeführt, gerade wo wir uns in Struktur- und Organisationsfragen zu verlieren drohten. Ihre Predigten waren für viele Orientierungspunkte. Sie hat uns in der westfälischen Kirche mit ihrer durchaus frommen Grundhaltung über alle Unterschiede hinweg immer zusammengehalten.
Dass sich die Vorgänge von damals in Siegen weiter aufklären lassen, hoffe ich sehr. Die Beschuldigungen sollten geklärt werden können. Denen, die unter Übergriffen leiden, muss gut und zuverlässig geholfen werden. Das darf in allem Bedauern nicht zu kurz kommen.“
Herford, 20.11.2023, Dr. Olaf Reinmuth