Von Berthold Keunecke, Pfarrer der Ev.Luth. Emmauskirchengemeinde Herford

Als kleiner Junge durfte ich auf den Schultern meines Vaters reiten. Plötzlich über die Köpfe anderer hinwegsehen zu können - das war schön. Vater hat mich an meinen Füßen festgehalten, und trotzdem hatte ich etwas Angst da oben. Hab mich an seinen Kopf geklammert.

Wie schön, groß sein zu können, auf andere herabsehen zu können. Als Kinder erstreben wir das, als Erwachsener mache ich mich schon eher mal klein. Gehe in die Hocke, um mit einem Kind auf Augenhöhe zu kommen. Mein Streben nach Überblick ist vom äußeren in mein Inneres gewachsen.

Gott hat mich innerlich stark gemacht, damit ich auf äußere Stärke verzichten kann.

Wie schade, dass dies heute vielen Menschen so schwer fällt. Das Konkurrenzdenken, das wir von der Wirtschaft lernen, hat viele so fest im Griff. "Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf" hat der philosophische Vordenker des kapitalistischen Systems Thomas Hobbes einst behauptet. Als sei der Naturzustand des Menschen auf ein Gegeneinander gerichtet. Doch lernen wir aus der Bibel, dass Gott unsere Welt als gute Welt geschaffen hat. Er hat uns zwar die Freiheit gegeben, Böses zu tun und Gewalt gegeneinander auszuüben. Aber eigentlich sind wir soziale Wesen. Nur wenn wir unsere Angst und unser Misstrauen zu stark in uns wachsen lassen, sehen wir zuletzt nur noch die äußerliche Stärke und die Gewalt als Ausweg. Doch in unseren Herzen wohnt anderes: "Gott hat seine Liebe in unsere Herzen hineingegossen" lesen wir in Römer 5,5.

Wie gut, dass ich auch Erinnerungen an die Wirkmächtigkeit vom Wunsch nach Frieden und Solidarität habe: An Demonstrationen mit hunderttausenden, und an direkte gewaltfreie Aktionen mit nur wenigen. Das hat etwas bewirkt, hat zur Entspannung und zur Abrüstung beigetragen. Liebe ist ansteckend, so wie leider auch die Gewalt ansteckend ist. Beides gehört zu unseren Möglichkeiten. Aber Gott hat uns stark gemacht. Wir können seine Liebe in unseren Herzen wachsen lassen. Dass wir das wieder neu lernen können, um diesen Segen bitte ich Gott jeden Tag.