13/05/2025 0 Kommentare
Herford: „Schweigen können wir uns nicht leisten“ / Eindrucksvolle Veranstaltung in der Marienkirche verbindet Generationen
Herford: „Schweigen können wir uns nicht leisten“ / Eindrucksvolle Veranstaltung in der Marienkirche verbindet Generationen
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Herford: „Schweigen können wir uns nicht leisten“ / Eindrucksvolle Veranstaltung in der Marienkirche verbindet Generationen
Text: Karsten Schulz
Fotos: Alexander Kröger und Karsten Schulz
Zu einer eindrucksvollen und zugleich außergewöhnlichen Gedenkveranstaltung hatten die Stadt Herford und der Evangelische Kirchenkreis Herford in die Marienkirche eingeladen. Anlass war der 80. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs – ein Tag, der zugleich Mahnung und Hoffnungsschimmer ist. Pfarrer Dr. Gerald Wagner von der Marien-Kirchengemeinde Stift Berg hatte die Veranstaltung initiiert und maßgeblich organisiert.

Der Festakt stand unter dem Motto: „Erinnern für die Zukunft – Nachdenken über 80 Jahre Kriegsende. Zu den Festrednern gehörte der ehemalige Vizekanzler und Bundesaußenminister a.D. Sigmar Gabriel.
In Gedanken an die vom Krieg Betroffenen

Mehr als 400 Gäste aus der Region hatten sich angemeldet, um den Beiträgen zu lauschen und um zu zeigen, wie wichtig es ist, dass in Europa wieder Frieden einkehrt und sich der Ukraine-Krieg nicht weiter ausbreitet. Die Sehnsucht nach Frieden und besseren Lebensbedingungen für die vom Krieg Betroffenen wurde in allen Redebeiträgen deutlich. Gleichzeitig warnten die Teilnehmenden vor zunehmendem Rassismus und Antisemitismus, der oft mit übersteigertem Nationalismus einhergeht.
An verschiedenen Stellen in der Kirche waren Videowände aufgestellt worden; an den Seiten des hochgotischen Kirchenschiffs hingen Fotos und weitere Erinnerungsstücke, die mit Hilfe des Herforder Kommunalarchivs zusammengestellt worden waren. Sie zeigten, wie die Menschen am Ende des Krieges in der Stadt Herford lebten und in welchem Zustand sich die Stadt befand.
Schülerinnen und Schüler als Geschichts-Guides

Am Ende der Gedenkveranstaltung führten Schülerinnen und Schüler des Königin-Mathilde-Gymnasiums Interessierte als Geschichts-Guides durch die Präsentation – ein Angebot, das gerne angenommen wurde. In mehreren Videoeinblendungen berichteten die Herforder Zeitzeugen Marlies Stranghöner, Heidi Köller, Gerd Zaplin, Heinz Plümer und Wolfgang Petri, wie sie das Kriegsende in ihrem privaten Umfeld erlebt hatten.

Superintendent Dr. Olaf Reinmuth betonte in seiner Begrüßung die Dringlichkeit des Erinnerns und erklärte, dass er bewusst den Begriff „Tag der Befreiung“ gewählt habe, wie ihn der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker 1985 geprägt hatte. „Die Erinnerung und die Stimmen der Zeitzeugen mahnen uns, Frieden nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen“, sagte der Superintendent. Gemeinsam mit seinem Kooperationspartner, Bürgermeister Tim Kähler von der Hansestadt Herford, betonte er, dass Solidarität weltweit gewahrt bleiben müsse.
"Ich sage allen Lebewohl und weine“

Das erste Wort hatte der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Herford-Detmold, Matitjahu Kellig (Foto oben). Er appellierte eindringlich an die Anwesenden: „Schweigen können wir uns nicht leisten.“ Er verlas den Brief des damals 14-jährigen jüdischen Jungen Chaim, dessen Zeilen im Winter 1941/42 aus einem SS-Arbeitslager zu seinen Eltern geschmuggelt worden waren. „Ich weiß, dass ich von hier nicht lebend fortkomme, ich sage allen Lebewohl und weine“, schrieb Chaim in seinen letzten Zeilen.
Festredner in der Marienkirche war der ehemalige Vizekanzler, Außenminister und SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel, heute Vorsitzender der Atlantik-Brücke. Dass er in den Aufsichtsrat des Rüstungskonzerns Rheinmetall gewählt werden soll, sorgte im Vorfeld vereinzelt für Kritik. Auch vor der Marienkirche protestierten einige Herforder mit Transparenten gegen diesen vermeintlichen Widerspruch.
Festredner Sigmar Gabriel

Sigmar Gabriel (Foto oben) bekräftigte - nach eigener Aussage vor allem als Vater dreier Töchter - seine Unterstützung für Aufrüstung und Hilfe für die Ukraine. Damit schlug er den Bogen zum 8. Mai 1945. Die historischen Ereignisse der NS-Zeit gerieten zunehmend in Vergessenheit, es fehle an persönlichen Bezügen. So erstarkten Antisemitismus und Revisionismus – in diesem Zusammenhang übte er scharfe Kritik an der AfD.
Er forderte ein gesamtgesellschaftliches Umdenken und rief eindringlich zur Verantwortung auf: „Wir alle müssen raus aus der Komfortzone. Mehr Sicherheit gibt es nicht, wenn der Wehrdienst abgelehnt wird. Das gilt auch für diejenigen, die mehr Wohlstand fordern, aber weniger arbeiten wollen.“

Zu einem Gesamtkunstwerk wurde die Gedenkveranstaltung durch die musikalischen Beiträge der Nordwestdeutschen Philharmonie. Werke des russischen Komponisten Dmitri Schostakowitsch bildeten den passenden Rahmen.
Titelfoto: Superintendent Dr. Olaf Reinmuth (links) und Bürgermeister Tim Kähler eröffneten die Gedenkveranstaltung.
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